Bundesgerichtsurteil Vifor/HCI Solutions: Art. 7 Abs. 2 KG begründet keinen Gefährdungstatbestand
Im Entscheid Vifor Pharma/HCI Solutions vom 23. Januar 2025 (2C_244/2022) konkretisiert das Bundesgericht die Anforderungen von Art. 7 KG im Sinne eines “effects-based approach” und stellt klar: Konzerninterne Umsätze dürfen bei der Sanktionsbemessung nur bei tatsächlicher Ausnutzung der vertikalen Konzernstruktur berücksichtigt werden.
Publiziert: 6 Mai 2025
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Publiziert: 6 Mai 2025 | ||
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Das Verfahren gegen Vifor Pharma/HCI Solutions
Im Dezember 2016 büsste die Wettbewerbskommission (WEKO) die Solutions AG (HCI) mit rund CHF 4.5 Mio. wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Die HCI, ein Tochterunternehmen der Vifor Pharma Participations AG (Vifor), betreibt unter anderem das “Compendium” elektronischer Medikamenteninformationen sowie nutzerspezifische INDEX-Datenbanken (z.B. “medINDEX” für Ärztinnen und Ärzte), welche über entsprechende Softwarelösungen von Drittanbietern genutzt werden. In diesem Zusammenhang warf die WEKO der HCI vor, mehrere Jahre systematisch Vertragsklauseln mit Softwarehäusern verwendet zu haben, die auf eine Behinderung konkurrierender Datenbankanbieter abzielten. Zudem sei die Aufnahme von Medikamenteninformationen in die INDEX-Produkte gegenüber Pharmaunternehmen nur im Paket (“gekoppelt”) mit zusätzlichen Dienstleistungen angeboten worden. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Januar 2022 grundsätzlich den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung, reduzierte jedoch die Sanktion.
Mit Urteil vom 23. Januar 2025 (2C_244/2022) hiess das Bundesgericht die von Vifor und HCI erhobene Beschwerde teilweise gut und wies die Sache zur neuen Bemessung und Festlegung der Sanktion zurück an das Bundesverwaltungsgericht. Interessant sind insbesondere die Ausführungen des Bundesgerichts zu Art. 7 Abs. 2 KG[1] und zur Sanktionierung. Hier die wichtigsten Punkte:
Kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 7 KG bei rein hypothetischer Wettbewerbsgefährdung
Das Bundesgericht bestätigte zwar, dass HCI auf den relevanten Märkten eine marktbeherrschende Stellung innehatte, stellte jedoch klar, dass Art. 7 Abs. 2 KG keinen Gefährdungstatbestand begründet: Es präzisierte, dass eine Verhaltensweise entsprechend dem “effects-based approach” effektiv potentiell geeignet sein müsse, eine Wettbewerbsschädigung zu erzeugen. Die Gefahr nachteiliger Wettbewerbseffekte müsse aufgrund sämtlicher konkreter Umstände tatsächlich bestehen; eine bloss hypothetische Gefahr der Wettbewerbsschädigung genüge nicht. Ebenso genüge der blosse Umstand, dass eine Vertragsklausel einem Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 KG entspricht, nicht. Das Bundesgericht folgt damit der jüngeren Rechtsprechung des EuGH, der ebenfalls von einem “effects-based approach” ausgeht (vgl. Urteil des EuGH vom 19. Januar 2023, C-680/20, Unilever Italia).
Vor diesem Hintergrund hielt das Bundesgericht zu den vier beanstandeten Verhaltensweisen der HCI Folgendes fest:
- Alleinbezugsverpflichtung in einem einzelnen Vertrag (Klausel A): Das Bundesgericht verneinte eine effektive potentielle Eignung dieser Klausel zur Verdrängung von Wettbewerbern, da sie nur in einem von 176 Verträgen mit Softwarehäusern vorgekommen und gemäss Aussage des (einen) betroffenen Softwarehauses praktisch bedeutungslos gewesen sei. Sie habe Drittanbieter zudem nicht vollständig ausgeschlossen. Die Klausel ist nach Ansicht des Bundesgerichts daher nicht missbräuchlich.
- Verbot, Drittdaten mit gleicher oder im Wesentlichen gleicher Struktur wie die XML-Struktur der HCI in Software einzuspeisen (Klausel B): Soweit diese Klausel B, die in 83 von rund 176 Verträgen enthalten war, über den urheberrechtlich geschützten Bereich hinausging und auch die erlaubte Nachahmung erfasste, qualifizierte das Bundesgericht sie als missbräuchlich im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. e KG.
- Kopplung der Publikation von Arzneimittelinformationen mit redaktioneller und technischer Qualitätskontrolle: Dies Klausel ist nach Ansicht des Bundesgerichts nicht missbräuchlich, da es sich nicht um getrennte Güter handele. Die Qualitätskontrolle sei Teil der Publikationsleistung im “Compendium” bzw. in den INDEX-Datenbanken und wird von den Pharmaunternehmen typischerweise gemeinsam nachgefragt.
- Kopplung der Publikation von Arzneimittelinformationen mit (optionalem) Gratis-Upload auf AIPS: Auch bei dieser Klausel verneinte das Bundesgericht die Missbräuchlichkeit, da es sich beim Upload um eine nebensächliche Zusatzleistung ohne eigenständige wirtschaftliche Bedeutung handele. Es gebe weder einen separaten Markt noch eine eigenständige Nachfrage dafür.
Reduktion der Sanktion und keine Berücksichtigung konzerninterner Umsätze
Das Bundesgericht bestätigte die Sanktion nur in Bezug auf die teilweise missbräuchliche Klausel B. Die übrigen Feststellungen der Vorinstanz seien jedoch aufzuheben und die Sanktion entsprechend zu reduzieren.
Zudem hätten gemäss Bundesgericht die konzerninternen Umsätze bei der Berechnung der Sanktion nicht berücksichtigt werden dürfen. Anders als in der Konstellation der Kosten-Preis-Schere (BGE 146 II 217) seien die Apotheken und Grossisten des Galenica-Konzerns nicht am missbräuchlichen Verhalten beteiligt gewesen. Es liege daher keine missbräuchliche Ausnutzung der vertikalen Konzernstruktur vor.
[1] Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG) vom 6. Oktober 1995, SR 251.
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